Die Inkompatibilität von Bundesregierung und Landesregierungen

Kaiser Wilhelm I. war zugleich König von Preußen.
Kaiser Wilhelm I. war zugleich König von Preußen.
Ein großer Kritikpunkt an der Verfassung des Kaiserreichs war die Verknüpfung Preußens mit dem Reichs, insbesondere die Tatsache, dass der König von Preußen zugleich deutscher Kaiser und der preußische Ministerpräsident zugleich Reichskanzler war. Letzteres war zwar im Verfassungstext nicht niedergeschrieben, wurde aber in der Verfassungswirklichkeit so gehandhabt.

In der Bundesrepublik sind die Bundesregierung und die Landesregierungen strikt getrennt. Es ist undenkbar, dass der Bundeskanzler bspw. im Nebenberuf noch Regierender Bürgermeister von Berlin ist. Aber ist dies tatsächlich ausdrücklich verboten?

Art. 55 Abs. 1 GG gilt nur für den Bundespräsidenten

Die erste Vorschrift, die man zu dieser Frage findet, ist Art. 55 Abs. 1 GG:

Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören.

Diese Regelung schließt eine Ämterhäufung ganz klar aus. Sie gilt aber, wie der Text deutlich sagt, nur für den Bundespräsidenten.

Dass diese Regelung auch für die Mitglieder der Bundesregierung gelten soll, ist nicht ersichtlich. Die Vorschriften zur Bundesregierung finden sich auch erst etwas weiter hinten im Grundgesetz, nämlich ab Artikel 62. Dort gibt es keinen Verweis darauf, dass die Vorschriften über den Bundespräsidenten für die Mitglieder der Regierung entsprechend gelten sollen. Die einzige – ausdrücklich geregelte – Gemeinsamkeit ist der Amtseid, den der Bundespräsident und die Regierungsmitglieder in gleicher Weise ablegen müssen (Art. 56, Art. 64 Abs. 2 GG).

Dass man Art. 55 Abs. 1 GG einfach analog heranziehen kann, überzeugt nicht. Das Staatsoberhaupt ist nun einmal kein Regierungsmitglied, insofern sind die Ämterhäufungen, die man ausschließen will, nun einmal andere. Außerdem ist für den Bundespräsidenten geregelt, dass dieser nicht Mitglied des Bundestags („einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes“) sein darf. Dass der Bundeskanzler und mindestens ein Großteil der Minister zugleich Abgeordnete sind, ist aber ganz üblich und seit Jahrzehnten akzeptiert.

Und schließlich gibt es für die Mitglieder der Bundesregierung eine eigene Regelung, die eine Analogie unnötig macht.

Art. 66 GG betrifft keine Verfassungspositionen

Art. 66 des Grundgesetzes bestimmt nämlich:

Der Bundeskanzler und die Bundesminister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben (…)

Aus Art. 66 GG ergibt sich eine solche Inkompatibilität aber nicht, weil die Mitgliedschaft in der Landesregierung – jedenfalls nach herrschender Meinung – kein besoldetes Amt ist. Zwar handelt es sich auch um ein Amt, für das ein Lohn („Sold“) bezahlt wird. Das ist hier aber wohl nicht gemeint. Vielmehr soll Art. 66 GG lediglich wirtschaftliche Abhängigkeiten und „Lobbyismus“ verhindern, bezieht sich also auf „Brotberufe“.

Verfassungsämter sind dagegen nicht gemeint, da die Vorschrift nach ihrer Formulierung keine verfassungsrechtlichen Inkompetenzen feststellen will. Würde man dies anders sehen, so müsste man wohl auch Bundestagsmandate unter die „besoldeten Ämter“ fassen, siehe oben.

§ 4 BMinG als einfaches Gesetz relevant?

Nun gibt es aber noch das Bundesministergesetz. Dessen § 4 besagt:

Ein Mitglied der Bundesregierung kann nicht zugleich Mitglied einer Landesregierung sein.

Trotz seines Namens regelt das Gesetz also nicht nur die Rechtsstellung der Bundesminister, sondern aller Mitglieder der Bundesregierung einschließlich des Bundeskanzlers sowie (teilweise) der Staatssekretäre.

Problematisch ist hierbei, dass es sich beim BMinG um ein einfaches Gesetz handelt, also um keine Verfassungsnorm. Dieses einfache Gesetz soll aber nun Personen verbieten, ein Verfassungsamt wahrzunehmen. Dies könnte gegen das Grundgesetz verstoßen, da dort die Voraussetzungen für die Erlangung eines Regierungsamts geregelt sind.

Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip

Die vertikale Gewaltenteilung ist ein Wesensmerkmal der Föderalismus.
Die vertikale Gewaltenteilung ist ein Wesensmerkmal der Föderalismus.
Insoweit wird vertreten, dass sich Inkompatibilitäten zwischen Land und Bund aus dem Verfassungsrahmen insgesamt ergeben. Denn es besteht eine vertikale Gewaltenteilung – Zuständigkeiten liegen entweder beim Bund oder bei den Ländern, die Verfassungsorgane und Behörden sind gesondert eingerichtet usw. Zudem obliegen dem Bund gewisse Überwachungsfunktionen gegenüber den Ländern (z.B. Art. 84 Abs. 3, Art. 85 Abs. 3 und 4 GG).

Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit auch einer personellen Trennung zwischen Bundes- und Landesregierungen im Grundgesetz selbst. Allerdings regelt das Grundgesetz nicht die Reichweite dieser Trennung. Daher konkretisiert das Bundesministergesetz dies und widerspricht somit nicht dem Grundgesetz, sondern legt dieses lediglich aus.

Nach dieser Meinung können Mitglieder der Bundesregierung somit nicht auch Mitgleider einer Landesregierung sein. Verfassungsgerichtlich entschieden ist dies aber bislang nicht.

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