Bundesfinanzminister Olaf Scholz will eine größere Zahl von Kommunen, im Gespräch sind ca. 2500 in mehreren Bundesländern, „entschulden“. Diesen Gemeinden, denen ihre Kredite derart über den Kopf gewachsen sind, dass sie kaum noch handlungsfähig sind, soll diese Schulden genommen werden. Das stelle dann, so der SPD-Minister, einen Neustart für diese Gemeinden dar. Freilich verschwinden die Verbindlichkeiten nicht einfach – vielmehr sollen der Bund und die betreffenden Bundesländer sie übernehmen.
Kompensation für die eingetauschte Jacke
Politisch wurde nun sehr darüber diskutiert ob dies überhaupt finanzierbar sei, ob der selbst verschuldete Bund sich noch weiter in die roten Zahlen stürzen sollte und ob es überhaupt gerecht sei, Gemeinden die Ergebnisse ihrer Misswirtschaft abzunehmen.
„Im Föderalismus zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sei es manchmal wie in einer Familie, in der ein Kind sich beschwere, wenn das andere eine neue Jacke bekomme, es selbst aber nicht, weil seine Jacke noch tadellos sei“, fasst bspw. die „Zeit“ die Argumentation zusammen. Nun ist es in dem Fall allerdings eher so, dass das eine Kind seine Jacke gegen einen Haufen Gummibärchen getauscht hat, diese alle aufgegessen hat und sich nun darüber beschwert, keine Jacke mehr zu haben.
Diese politischen Fragen sollen uns hier aber nichts angehen. Interessanter ist vielmehr, ob ein solches Vorhaben mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Grundgesetz sieht Finanzspritzen für Kommunen vor
Seit der 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform ist insbesondere die Finanzverfassung zwischen Bund und Ländern schärfer getrennt. Vor allem darf der Bund gemäß Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG nur noch in ganz geringem Umfang unmittelbar Aufgaben an die Gemeinden und Gemeindeverbände (z.B. Landkreise) delegieren.
Weiterhin gibt es jedoch einige ausdrücklich genannte Fälle im Grundgesetz, in denen der Bund die Gemeinden – direkt oder über die Länder – mit Geld beglücken darf:
- erforderliche Investitionen bei Rezession, ungleicher Wirtschaftskraft oder zur Wirtschaftsförderung (Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG)
- Finanzhilfen bei Naturkatastrophen oder anderen Notfällen (Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG)
- kommunale Bildungsinfrastruktur (Art. 104c Satz 1 GG)
- sozialer Wohnungsbau (Art. 104d GG)
- Kompensation von Zusatzbelastungen (Art. 106 Abs. 8 GG)
Unter eine dieser Kategorien fällt die Übernahme kommunaler Schulden sicherlich nicht.
Freie Mittelverwendung durch den Bund?
Nun könnte der Bund natürlich auch auf die Idee kommen, außerhalb dieser Tatbestände Finanzhilfen zu gewähren. Die Schuldenübernahme erfolgt ja freiwillig und dafür braucht es weder eine gesetzlich normierte Pflicht noch unbedingt eine Erlaubnis. Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes garantiert den Gemeinden das Recht auf Selbstverwaltung und finanzielle Eigenverantwortung, verbietet insoweit aber sich keine Wohltaten.
Diese Ansicht übersieht aber, dass der Bund ja im Grunde über gar kein eigenes Geld verfügt. Die dem Bund zukommenden Einnahmen werden gerade in den Ländern und Gemeinden erwirtschaftet. Der Bund bekommt aufgrund von Verfassungs- und Gesetzesrecht gewisse Anteile aus den verschiedenen Steuern zugewiesen. Diese hat er aber für seine Aufgaben aus dem Grundgesetz zu verwenden und kann sie nicht beliebig an die Länder oder Gemeinden zurückverteilen.
Bundeskompetenzen im Grundgesetz abschließend geregelt
Es spricht daher viel dafür, anzunehmen, dass die Finanzverfassung im Grundgesetz abschließend ist. Denn bekanntlich baut das gesamte deutsche Verfassungsrecht darauf auf, dass der Bund nur die Zuständigkeiten besitzt, die ihm das Grundgesetz ausdrücklich einräumt.
Im Bereich der Finanzen gilt dies umso mehr, da durch die erwähnte Föderalismusreform gerade eine finanzielle Trennung zwischen den staatlichen Ebenen realisiert werden soll. Dass die expliziten und sehr eng gefassten Finanzierungsmöglichkeiten im Grundgesetzen nur beispielhaft sein sollen und der Bund zusätzliche Unterstützungsformen einfach durch Gesetz oder Haushaltsplan beschließen kann, erschließt sich aus dieser Systematik also keineswegs.
Verfassungsänderung wäre notwendig
Es steht dem Bund demnach also gerade nicht frei, sich neue Aufgaben- und Ausgabenfelder selbst zu suchen und aktuell die Entschuldung einiger Gemeinden für sich zu entdecken. Die angedachte Schuldenübernahme wäre damit aktuell verfassungswidrig.
Sie bedürfte also einer Verfassungsänderung dahingehend, dass der Bund eine ausdrückliche Ermächtigung im Grundgesetz erhält. Diese Verfassungsänderung ist nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat möglich. Im Bundesrat ist dafür die Unterstützung von mindestens zehn Ländern mit zusammen wenigstens 46 Stimmen erforderlich. Die Hauptprofiteure Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen kommen aber zusammen auf nur 18 Stimmen.
Die restlichen notwendigen Länder dürften mit einiger Sicherheit nur zustimmen, wenn auch sie in irgendeiner Form davon profitieren. Das wird also einige zusätzliche Milliarden kosten, wofür auch immer. Dass der Bund anscheinend derart riesige Finanzreserven hat, ist aber durchaus bemerkenswert.
Ein Gedanke zu „Entschuldung von Gemeinden mit Grundgesetz vereinbar?“
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