Einzelbeiträge

Ist im Grundgesetz der Notstand vorgesehen?

Nein, einen klassischen Notstand, der der Regierung in dringenden Fällen besondere Befugnisse zugesteht und Grundrechte außer Kraft setzt, gibt es im Grundgesetz nicht.

Das, was in der politischen Diskussion als Notstandsverfassung bezeichnet wird, sind die Sondervorschriften für den Verteidigungsfall, die sich hauptsächlich in Abschnitt Xa des Grundgesetzes befinden. Der Verteidigungsfall beschränkt sich aber darauf, dass „das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“ (Art. 115a Abs. 1 GG). Dies umfasst also nur klassische internationale Kriege sowie (umstrittenerweise) auch schwere terroristische Angriffe.

Die Verkleinerung des Bundestags – kein leichtes Unterfangen

germany-212402_1920Der Bundestag besteht derzeit aus 709 Abgeordneten, was einen Rekord in der Geschichte der Bundesrepublik darstellt. Dies liegt an Überhang- und Ausgleichsmandaten, die zu den eigentlich nur 598 Abgeordneten noch hinzukommen.

Seit der letzten Bundestagswahl (und auch schon kurz vorher) gibt es daher Forderungen, das Wahlrecht zu reformieren, um die Zahl der Mandate zu verringen. Was sich recht einfach anhört, ist tatsächlich ein extrem kompliziertes Unterfangen. Das Bundeswahlgesetz kann nämlich nicht ohne Weiteres so geändert werden, dass es weniger Mandate gibt. Denn die Sitzzuteilung muss eine Vielzahl unterschiedlicher Kriterien beachten.

Die Mandatsvergabe erfolgt nach Landeslisten. Jede Partei stellt in jedem Bundesland eine eigene Liste mit Kandidaten auf. Die Sitze werden dann auf die Landeslisten verteilt. Derzeit entfallen also auf 96 unterschiedliche Listen (6 Bundestagsparteien mal 16 Bundesländer) Mandate.

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Entschuldung von Gemeinden mit Grundgesetz vereinbar?

Bundesfinanzminister Olaf Scholz will eine größere Zahl von Kommunen, im Gespräch sind ca. 2500 in mehreren Bundesländern, „entschulden“. Diesen Gemeinden, denen ihre Kredite derart über den Kopf gewachsen sind, dass sie kaum noch handlungsfähig sind, soll diese Schulden genommen werden. Das stelle dann, so der SPD-Minister, einen Neustart für diese Gemeinden dar. Freilich verschwinden die Verbindlichkeiten nicht einfach – vielmehr sollen der Bund und die betreffenden Bundesländer sie übernehmen.

Kompensation für die eingetauschte Jacke

Viele Gemeinden werden durch ihre angehäuften Schulden quasi erdrückt. Aber darf der Bund hier einspringen?
Viele Gemeinden werden durch ihre angehäuften Schulden quasi erdrückt. Aber darf der Bund hier einspringen?
Politisch wurde nun sehr darüber diskutiert ob dies überhaupt finanzierbar sei, ob der selbst verschuldete Bund sich noch weiter in die roten Zahlen stürzen sollte und ob es überhaupt gerecht sei, Gemeinden die Ergebnisse ihrer Misswirtschaft abzunehmen.

„Im Föderalismus zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sei es manchmal wie in einer Familie, in der ein Kind sich beschwere, wenn das andere eine neue Jacke bekomme, es selbst aber nicht, weil seine Jacke noch tadellos sei“, fasst bspw. die „Zeit“ die Argumentation zusammen. Nun ist es in dem Fall allerdings eher so, dass das eine Kind seine Jacke gegen einen Haufen Gummibärchen getauscht hat, diese alle aufgegessen hat und sich nun darüber beschwert, keine Jacke mehr zu haben.

Diese politischen Fragen sollen uns hier aber nichts angehen. Interessanter ist vielmehr, ob ein solches Vorhaben mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

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Würde das Grundgesetz ein Ermächtigungsgesetz erlauben?

Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst einmal klären, was ein Ermächtigungsgesetz überhaupt ist. Grundsätzlich wird darunter ein formelles Parlamentsgesetz verstanden, das einem anderen Verfassungsorgan (meist der Regierung) bestimmte Befugnisse einräumt.

Heutzutage ist fast jedes Gesetz ein Ermächtigungsgesetz, da es der Regierung erlaubt, bestimmte Ausführungsvorschriften zu erlassen. Dabei handelt es sich meist um technische Regelungen, die das Gesetz präzisieren, die man aber aufgrund ihrer Komplexität oder ihres häufigen Aktualisierungsbedarfs nicht im aufwändigen Weg der Gesetzgebung, sondern im viel einfacheren Verordnungsweg beschließen will. So ist bspw. die praktisch äußerst bedeutsam Straßenverkehrsordnung eine Verordnung, die auf dem weit weniger bekannten Straßenverkehrsgesetz fußt. Im Allgemeinen ist die Verordnungsermächtigung in Gesetzen aber sehr spezifisch und umfasst nur unbedeutendere Fragen.

Das aus der Geschichte bekannteste Ermächtigungsgesetz, das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat aus dem Jahr 1933 hatte dagegen eine ganz andere Funktion: Es erlaubte es dem Reichsregierung unter Hitler, anstelle des Reichstags Gesetze zu verabschieden, sogar verfassungsändernde Gesetze. Das Parlament hat also nicht einzelne Entscheidungen delegiert, sondern sich faktisch selbst entmachtet.

Das Grundgesetz erlaubt es prinzipiell, eine Verfassungsänderung zu beschließen, die das Gesetzgebungsverfahren anders regelt als bisher. Insofern könnte auch die Bundesregierung zum gesetzgebenden Organ bestimmt werden. Eine Grenze für jede Verfassungsänderung stellt aber Art. 79 Abs. 3 GG, der sogenannte Verfassungskern, dar. Danach darf die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung nicht beseitigt werden, der Bundesrat müsste also zumindest noch beratende Funktion haben. Und schließlich wäre fraglich, ob eine solche Ermächtigung dem von Art. 79 Abs. 3 und 20 Abs. 1 GG geschützten Demokratieprinzip noch entsprechen würde. Die Frage würde im Endeffekt dann das Bundesverfassungsgericht klären müssen – wenn es das dann noch kann.

Völlig ausgeschlossen wäre ein Ermächtigungsgesetz durch das Grundgesetz also nicht.

Wann kann der Bundestag aufgelöst werden?

Der Bundestag kann nur in zwei Fällen vorzeitig aufgelöst werden:

Wenn in drei Wahlgängen zum Bundeskanzler kein Kandidat die absolute Mehrheit des Bundestags erreicht und der Bundespräsident deswegen die Auflösung anordnet (§ 63 Abs. 4 GG).

Wenn der Kanzler den Bundestag darum bittet, ihm das Vertrauen auszusprechen, dieser Antrag nicht die Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten findet und daraufhin Bundeskanzler und Bundespräsident die Auflösung möchten (§ 68 Abs. 1 GG).

Diese relativ engen Voraussetzungen sind eine Lehre aus der Weimarer Republik, in der der Reichspräsident den Reichstag jederzeit auflösen konnte (Art. 25 Abs. 1 WRV) und es so zu acht Wahlen innerhalb von 15 Jahren kam.

Sieht das Grundgesetz Gewaltenteilung vor?

Nur in beschränktem Maße. Die „klassische“ Gewaltenteilung, also die Unabhängigkeit der Gerichte von der Exekutive im Bezug auf ihre Urteile ist natürlich gewahrt.

Daneben herrscht im GG aber eher eine Gewaltenverschränkung mit Schwerpunkt auf der Legislative. Die Gerichte werden durch Gesetz eingerichtet und die Richter zumindest indirekt durch die Parlamente gewählt. Die Regierung bedarf des Vertrauens des Bundestag und die Regierungsmitglieder haben fast alle auch ein Bundestagsmandat.

Richtlinienkompetenz und Ressortprinzip

federal-chancellery-637999_1920Vor allem im derzeitigen Regierungsstreit zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer, für wie echt oder schauspielerisch gelungen man ihn nun halten mag, wird immer wieder die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers erwähnt.

Diese findet sich in Art. 65 Satz 1 des Grundgesetzes:

Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.

Bedeutend ist insofern aber auch Art. 65 Satz 2 GG:

Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung.

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Kann der Bundeskanzler einfach die Parteien in seiner Koalition auswechseln?

Der Kanzler oder aktuell die Kanzlerin ist solange Kanzlerin, bis sie durch das erwähnte Misstrauensvotum abgewählt wird. Eine andere Koalitionszusammensetzung ist verfassungsrechtlich völlig unerheblich, denn das Grundgesetz kennt offiziell keine Regierungsmehrheit und keine Opposition.

Frau Merkel würde dann höchstwahrscheinlich die entsprechenden Minister entlassen, um andere zu ernennen (genauer: sie würde dies dem Bundespräsidenten vorschlagen, Art. 64 Abs. 1 GG), damit der neue Koalitionspartner in der Regierung vertreten ist – zwingend ist das aber auch nicht.

Kann ein Bundeskanzler auch ohne Mehrheit regieren?

Prinzipiell ja. Dabei muss man unterscheiden:

  • Der Bundeskanzler braucht die absolute Mehrheit des Bundestags, um im ersten oder zweiten Wahlgang gewählt zu werden. (Art. 63 Abs. 2 und 3 GG)
  • Im dritten Wahlgang reicht dann die relative Mehrheit – wenn also kein anderer Kandidat mehr Stimmen bekommen hat – und der Bundespräsident den so Gewählten ernennt. (Art. 63 Abs. 4 GG)
  • Um Bundeskanzler zu bleiben, reicht es, wenn kein anderer Kandidat eine absolute Mehrheit für sich zustande bringt. Nur durch ein solches konstruktives Misstrauensvotum kann der Kanzler abgewählt werden. (Art. 67 Abs. 1 GG)
  • Ansonsten kann der Bundestag aber aufgelöst werden, wenn der Kanzler in einer Vertrauensabstimmung keine absolute Mehrheit bekommt. Das geht aber nur mit seiner Zustimmung, er muss die Vertrauensfrage zunächst stellen und dann auch noch die Auflösung beim Bundespräsidenten beantragen. (Art. 68 Abs. 1 GG)

Das bedeutet also, dass der Bundeskanzler nicht zwingend Mehrheit im Bundestag hinter sich haben muss. Er könnte sich theoretisch für die Abstimmung über den Haushalt und für wichtige Gesetzesvorhaben laufend neue Mehrheiten suchen.

Allerdings wurde es seit Inkrafttreten des Grundgesetzes immer so gehalten, dass die Bundesregierung von einer dauerhaften Mehrheit im Bundestag getragen wurde. Wenn es aufgrund von Machtverschiebungen auf einmal Schwebelagen gab, wurden diese meist schnell durch Neuwahlen oder Koalitionswechsel aufgelöst.