Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG normiert die sogenannten Wahlrechtsgrundsätze, die in erster Linie für die Wahl des Bundestags gelten:
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
Die einzelnen Wahlrechtsgrundsätze sind also:
- Allgemeinheit
- Unmittelbarkeit
- Freiheit
- Gleichheit
- Wahlgeheimnis
Im Einzelnen bedeuten diese Wahlrechtsgrundsätze das Folgende:
Der Grundsatz der allgemeinen Wahl
Allgemein ist die Wahl dann, wenn jeder Bürger wahlberechtigt und auch wählbar ist.
Insoweit gibt es freilich gewisse traditionelle Einschränkungen: Ein bestimmtes Mindestalter (meist 18 Jahre) sowie die Beschränkung des Wahlrechts auf Inländer sind unbedenklich bzw. bereits in der Verfassung vorgesehen. Ebenso dürfen Personen, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder im Ausland leben, vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.
Nicht zulässig wäre dagegen eine Anknüpfung an Einkommen, Vermögen, Religion, politische Interesse oder Bildungsstand. Auch den Wahlrechtsausschluss betreuter („entmündigter“) sowie in der Psychiatrie untergebrachter Personen hat das BVerfG erst kürzlich gekippt.
Auch die Parteien können das Recht der Allgemeinheit der Wahl für sich in Anspruch nehmen. Jede Partei hat grundsätzlich das Recht, sich mit eigenen Wahlvorschlägen an der Wahl zu beteiligen, also Listen und Kandidaten aufzustellen, die dann auch gewählt werden können. Dagegen ist die Zulassung anderer politischer Organisationen, die keine Parteien sind, nicht verfassungsrechtlich zwingend.
Der Grundsatz der unmittelbaren Wahl
Eine unmittelbare Wahl ist eine solche, bei der die Stimmen des Wählers sich direkt in Abgeordnetenmandate umsetzen, ohne dass Zwischenschritte wie eine Wahl durch Wahlmänner erforderlich sind.
Auch eine Verhältniswahl über Parteilisten erfüllt den Grundsatz der Unmittelbarkeit, da auch hier die Zahl der Wählerstimmen über die Zahl der Mandate pro Liste entscheidet. Außerdem weiß der Wähler ja auch, in welcher Reihenfolge die Mandate auf die Personen verteilt werden (bei starren Listen, wie z.B. bei der Bundestagswahl) bzw. kann diese Reihenfolge selbst beeinflussen (bei variablen Listen mit Personenstimmen, wie z.B. bei der bayerischen Landtagswahl).
Dass das Wort „unmittelbar“ im Grundgesetz auch so gemeint ist, ergibt sich auch aus der Rechtsgeschichte: Artikel 22 Abs. 1 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 sah vor, dass der Reichstag unmittelbar und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt wurde. Diese beiden Bestimmungen sollten sich also offensichtlich nicht ausschließen. Hätte der Parlamentarische Rat dies anders gesehen, hätte er naheliegenderweise ein anderes Wort verwendet.
Entscheidend ist, dass der Wähler seine Stimme nicht zunächst an eine Partei vergibt und diese dann irgendeine, dem Wähler unbekannte Person in das Parlament schickt.
Daher ist auch das Nachrücken von Ersatzleuten für ausgeschiedene Abgeordnete nur zulässig, wenn diese zugleich mit diesen Abgeordneten gewählt wurden oder durch eine separate Nachwahl ins Amt kommen. Nicht zulässig wäre es dagegen, den Parteien die Nachwahl zu erlauben.
Der Grundsatz der freien Wahl
Frei ist eine Wahl dann, wenn es ausschließlich im Belieben des Wählers steht, wem er seine Stimmen gibt.
Unfrei ist eine Wahl dann, wenn ein Wähler unter Zwang, Druck oder anderer Beeinflussung steht, während er seine Stimme abgibt.
Eine Einschränkung geschieht freilich dadurch, dass es nur eine bestimmte Zahl an Wahlvorschlägen und Kandidaten gibt, die sich überhaupt zur Wahl stellen. Einen Anspruch darauf, andere Personen (z.B. durch Aufschreiben des Namens auf den Wahlzettel) zu wählen, besteht in der Regel nicht.
Auch setzt jedes Wahlsystem der absoluten Wahlfreiheit naturgemäß gewisse Grenzen. So kann der Wähler bei der Bundestagswahl bspw. nur genau einen Direktkandidaten und nur genau eine (unveränderbare) Parteiliste wählen.
Ob eine gesetzlich eingeführte Wahlpflicht verfassungskonform wäre, ist umstritten.
Auch das Wahlvorschlagsrecht der Parteien wird durch die Freiheit der Wahl geschützt. Möglich sind jedoch Wahlzulassungsvoraussetzungen wie die Sammlung von Unterstützungsunterschriften, soweit diese Voraussetzungen verhältnismäßig bleiben.
Die Freiheit der Wahl wirkt aber auch in den Bereich der Wahlvorbereitung hinein: Die Parteien müssen ihre Kandidaten demokratisch aufstellen und ihre Mitglieder hieran beteiligen. In den Wahlkampf dürfen sich staatliche Organe nicht einmischen, sondern müssen neutral bleiben. Ebenso müssen alle Parteien ausreichende Wahlkampfmöglichkeiten haben (sog. abgestufte Chancengleichheit).
Der Grundsatz der gleichen Wahl
Die Gleichheit der Wahl verlangt, dass jede Stimme gleich viel wert ist. Diese Voraussetzung wird weiter differenziert:
Zunächst einmal muss bei jedem Wahlsystem der Zählwert der Stimmen aller Wähler identisch sein. Eine Stimme ist eine Stimme, es darf also keine Stimme doppelt, nur halb oder in irgendeiner Form anders gezählt werden.
Daneben gibt es aber auch noch den Erfolgswert. Dieser betrifft die Frage, wie die Stimmen für die Wahlvorschläge in Sitze umgerechnet werden.
Bei einem Mehrheitswahlrecht kann dieser Erfolgswert nicht identisch sein. Die Stimmen für den direkt gewählten Kandidaten führen zu einem Mandat, die Stimmen für die Unterlegenen fallen dagegen unter den Tisch. Insofern muss jedoch die Erfolgswertgleichheit zumindest dadurch hergestellt werden, dass die Wahlkreise aus annähernd gleich vielen Wahlberechtigten bestehen.
Bei der Verhältniswahl muss ein einheitliches Mandatszuteilungssystem erfolgen, dass also jede Partei für eine bestimmte Zahl an Stimmen (unter Hinnahme gewisser Rundungsungenauigkeiten) immer genau ein Mandat bekommt.
Der Gesetzgeber hat insoweit also grundsätzlich das Recht, sich zwischen verschiedenen Wahlsystemen zu entscheiden. Innerhalb des jeweiligen Wahlsystems müssen dann aber die jeweils anwendbar Anforderungen an die Wahlgleichheit erfüllt sein.
Eine Sperrklausel (z.B. Fünfprozenthürde) greift in den Grundsatz der freien Wahl an, da auf diese Weise die Mandate für bestimmte Stimmen einfach wegfallen. Diese kann nur gerechtfertigt werden, um übergeordnete Funktionen zu erfüllen, insb. einer Zersplitterung des Parlaments entgegenzuwirken und die Mehrheitsbildung zugunsten einer stabilen Regierung zu vereinfachen. Eine höhere Hürde als 5 % ist unzulässig.
Ein negatives Stimmgewicht, also dass mehr Stimmen für eine Partei zu weniger Sitzen für diese Partei führen, ist nicht zulässig. Wenn errungene Stimmen der Partei schaden, handelt es sich vielmehr um den Extremfall ungleicher Stimmgewichtung.
Der Grundsatz der verhältnismäßigen Verteilung der Mandate ist prägend für das Verhältniswahlrecht. Führt die Wechselwirkung mit anderen Wahlsystemen dazu, dass einer Partei übermäßig viele Mandate zufallen (Überhangmandate), ist dies grundsätzlich in gewissem Umfang hinnehmbar. Es darf aber nicht dazu führen, dass die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist. Eine Abweichung um maximal 2,5 % ist zulässig, weitere Überhangmandate müssen zugunsten der anderen Parteien ausgeglichen werden.
Der Grundsatz der geheimen Wahl
Eine geheime Wahl ist gegeben, wenn der Wähler seine Stimme so abgeben kann, dass niemand nachvollziehen kann, wen er gewählt hat. Dadurch wird auch die Freiheit der Wahl abgesichert.
Voraussetzung dafür ist, dass die Stimmzettel nicht durch Nummern, Namensaufdruck o.ä. gekennzeichnet sind. Außerdem muss es die Möglichkeit geben, dass man sein Wahlkreuz unbeobachtet machen kann.
Soweit bei einer Briefwahl der Wahlzettel einer bestimmten Person (illegalerweise) zugeordnet werden kann oder eine Stimmabgabe über eine Hilfsperson erfolgt, sind diese Einschränkungen des Wahlgeheimnisses unumgänglich und daher zulässig.
Nicht geschützt vom Wahlgeheimnis ist aber die Tatsache, ob man überhaupt gewählt hat. Dies muss schon deswegen festgehalten werden, um eine mehrfache Stimmabgabe zu verhindern, also die Gleichheit der Wahl zu wahren.
Spiegelbildlich zur geheimen individuellen Wahl ist die Öffentlichkeit des gesamten Vorgangs der Wahl und der Auszählung. Interessierte Bürger müssen die Möglichkeit haben, diese Vorgänge zu überwachsen, um das Vertrauen in die Richtigkeit der Wahl und des festgestellten Ergebnisses (zumindest in gewisser Weise) zu rechtfertigen.