(Letzte Aktualisierung: 20.10.2025)
Text von Artikel 20 des Grundgesetzes
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Erläuterungen zu Art. 20 GG von Rechtsanwalt Thomas Hummel
Artikel 20 GG – Das Fundament der deutschen Verfassung
Artikel 20 des Grundgesetzes ist einer der wichtigsten Artikel unserer Verfassung. Er legt die zentralen Prinzipien fest, nach denen die Bundesrepublik Deutschland organisiert ist. Diese Grundprinzipien gelten dauerhaft und dürfen selbst durch Änderungen des Grundgesetzes nicht abgeschafft werden. Sie sind das Rückgrat unserer Demokratie.
Die Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Bundesstaat
In Absatz 1 heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Das klingt schlicht, hat aber große Bedeutung. Es bedeutet zunächst, dass Deutschland eine Demokratie ist: Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wer regiert, und sie können diese Entscheidung regelmäßig bei Wahlen überprüfen und ändern.
Zugleich ist der Staat sozial – das heißt, er sorgt für Ausgleich und Unterstützung, z. B. durch Sozialversicherungen, Renten oder Hilfe für Bedürftige. Das Ziel ist nicht nur Freiheit, sondern auch ein gewisses Maß an Gerechtigkeit. Schließlich ist Deutschland ein Bundesstaat: Die Macht ist zwischen dem Bund (also dem Gesamtstaat) und den einzelnen Bundesländern (wie Bayern oder Sachsen) aufgeteilt.
Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus – aber nicht direkt
Absatz 2 stellt klar: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das bedeutet, dass nicht ein König, eine Partei oder eine Elite bestimmt, sondern das Volk selbst. Diese „Volkssouveränität“ ist ein zentrales Prinzip jeder Demokratie – doch sie bedeutet nicht, dass das Volk selbst über Gesetze abstimmt oder politische Sachentscheidungen unmittelbar trifft.
Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG legt alle Staatsgewalt in die Hand des Staatsvolkes der Bundesrepublik. Das bedeutet aber keineswegs, dass das Volk selbst konkrete Entscheidungen trifft. Auch müssen die Verfassungsorgane – etwa Bundestag oder Regierung – keine unverbindlich geäußerten Mehrheiten wie Umfrageergebnisse, Petitionen oder Demonstrationen berücksichtigen.
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG erläutert vielmehr, wie der Einfluss des Volkes auf politische Belange ausgeübt wird: nämlich „in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“. In der Praxis dominieren Wahlen ganz klar. Volksabstimmungen gibt es auf Bundesebene kaum – sie sind nur in Art. 29 GG für die Neugliederung von Bundesländern ausdrücklich vorgesehen.
Zwar wäre es rechtlich wohl zulässig, wenn der Bundestag ein Gesetz beschließen würde, das einen Volksentscheid über eine bestimmte Sachfrage vorsieht – das Grundgesetz steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Bisher wurde von dieser Möglichkeit jedoch kein Gebrauch gemacht.
Die eigentliche Macht des Volkes liegt also in der Wahl von Repräsentanten, die dann im Parlament die Entscheidungen treffen – ein Grundgedanke der repräsentativen Demokratie.
Gesetz und Recht binden den Staat
Absatz 3 bestimmt: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ Das ist die Grundlage des Rechtsstaats: Der Staat darf nicht einfach tun, was er will. Politiker, Verwaltungen und Richter müssen sich an die Gesetze halten – und diese Gesetze müssen im Einklang mit der Verfassung stehen.
So wird sichergestellt, dass Bürgerinnen und Bürger sich auf ihre Rechte verlassen können – und dass der Staat für seine Entscheidungen Rechenschaft ablegen muss.
Das Widerstandsrecht
Der vierte Absatz enthält eine bemerkenswerte Bestimmung: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Das heißt: Wenn jemand – etwa durch Gewalt oder einen Staatsstreich – versucht, die demokratische Ordnung abzuschaffen, dann haben die Bürger das Recht, sich zu wehren.
Dieses Widerstandsrecht ist eine Art Notbremse: Es gilt nur, wenn andere Mittel wie Gerichte, Polizei oder Wahlen nicht mehr funktionieren. Es soll verhindern, dass Deutschland je wieder in eine Diktatur abrutscht.
Fazit: Die unantastbare Grundlage unseres Staates
Artikel 20 GG bringt die zentralen Werte des Grundgesetzes auf den Punkt: Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und föderale Ordnung. Zusammen mit dem Recht auf Widerstand sichert er dauerhaft die freiheitliche demokratische Grundordnung. Diese Prinzipien dürfen nicht abgeschafft werden – selbst nicht mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Sie stehen unter dem besonderen Schutz der sogenannten „Ewigkeitsgarantie“ des Artikels 79 Absatz 3 GG.
Deshalb ist Artikel 20 nicht nur ein Verfassungsartikel, sondern ein Versprechen: auf eine freie, gerechte und rechtsstaatliche Gesellschaft.
Rechtsprechung zu Art. 20 GG
- BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a.
- BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 9 C 2.18 (Bezug: Art. 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip)
Fachartikel zu Art. 20 GG
- „Bürger oder Rebell? Zum Widerstandsrecht im Grundgesetz“ (BPB‑Artikel zu Art. 20 Abs. 4 GG)
- Karsten Nowrot: „Jenseits eines abwehrrechtlichen Ausnahmecharakters – Zur multidimensionalen Rechtswirkung des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 4 GG“ (wissenschaftlicher Beitrag)